2021, Juni

1. 6.

Das Schönste, was die Menschen haben, ist ihre Hingebung. Ihr Sterben im anderen, in der Allgemeinheit, in der Welt.

Die Liebe ertragen, wie sie lastend zu mir bricht. Ihre Augen, ihr Gemüt, wie sie alles von mir will.

Hier ist ihr Platz. Hier auf diesen Weiten. Marschfeld der Sehnsucht, Wüste der Geborgenheit.

Sah Ida auf dem Elsensteg. Zeigte ihr im Vorbeigehen, dass ich ihr Lied auf meinem Handy hörte.

Sie zuckte unangenehm zusammen und ich ging.

3. 6.

Überhaupt erkenne ich in dem anderen – in dem, was ich anerkenne – mich selbst, meine eigene Welt, mit an.

4. 6.

Als ich im Bad eine Verletzung untersuche, wird mir Schwarz vor Augen und falle zu Boden. Telefoniere mit dem Kopf auf den Fliesen liegend mit dem Notdienst.

5. 6.

Die Distanz, ich habe sie verlächelt. Dachte, sie sei etwas Schlechtes. Sie hat nicht nur eine Schutzfunktion. Sie ist sogar notwendig, und vielleicht das elementare Wesen der Liebe überhaupt.

Vielleicht ließe sich Liebe als eine Praxis aus wohltuender Nähe und Distanz beschreiben. Und dass Liebe, wenn sie schmerzhaft wird, diese nährende Rhytmik verliert; peinigend und arrythmisch oszilliert.

Vielleicht gibt es in uns, oder außerhalb von uns, so etwas wie eine Eigenlogik der Liebe, der Anziehung. Ein himmlischer Uhrschlag des Miteinanders. Und wenn wir diese Logik verlassen, wird es schmerzhaft.

Doch die Distanz ist nicht nur eingebacken in die Liebe als Wesen oder Notwendigkeit. Sie ist auch wesentlich für uns als Personen. Wir können nicht nur in einer Gruppe sein. Wir müssen auch immer unsere Einzelheit, unsere Devianz praktizieren. Wir müssen das Außerhalb der Gruppen suchen, unsere Einsamkeit, oder was auch immer, um die Gruppe rückwirkend zu berreichern.

Und so braucht es in uns vielleicht immer ein Außerhalb der Beziehungen. So etwas wie den eingebackenen Seitensprung, das eingebackene Verlangen, die eingebackene Flucht. Wir wollen rennen, wir wollen alleine sein, wir wollen all diese Verantwortungen aufgeben. Das ist Teil von uns, und wird niemals vergehen.

7. 6.

Die ganz große Liebe bedarf der Abweisung, den Tod, den Bruch.

9. 6.

Letztendlich ist doch jedes Anvertrauen eine Verheißung. Ein Hineinzuwerfen – was selbst schon das Vertrauen darstellt. Ob es erwidert und aufgefangen wird oder nicht.

12. 6.

I still haven’t reached the bottom.

13. 6.

Und so lange ich das westliche Geld an mich nehme, kann ich dort keine Wahrheit sehen.

15. 6.

Man erkennt sichere Menschen an den Narben in ihrem Gesicht. Sie haben mit Wölfen gekämpft und sie mühen sich nicht, zu lächeln.

16. 6.

Sie sagte, es passt nicht. Eigentlich sagte sie nicht mal das. Es wäre gut gewesen, wenn sie wenigstens das gesagt hätte.

17. 6.

Es ist eine eigenartige Mischung. Wenn die Kleidung den Sexus produziert, dann artifiziert sie das Gegebene und macht aus ihm eine Einheit. Wenn ich ein Kleid trage, kollidiert seine Bestimmung mit einer Biologität. Es stellt meinen Körper hervor und zeigt auf, dass er nicht passt.

Geschlechterrollen werden gemacht. Doch es ist nicht so einfach, zu sagen, wir seien ein blankes Blatt Papier und könnten alles sein. Denn in unserer Vorstellung von Geschlecht spielt der Sexus eine Rolle.

Es ist viel eher so, dass eine biologische Ausprägung amplifiziert und hervorgestellt wird. Die Geschlechterrollen setzen den Körper ins Bild.

18. 6.

Man braucht Ruhe und Zeit für alles im Leben, sonst ist es nicht schön.

20. 6.

Ich schreibe nicht genug für mich selbst. Nicht ehrlich und wahr genug. Das ist es doch, was wir alle lüsten.

Die Menschen wollen Wahrheit, sie wollen ernst genommen werden. Es ist unser aller größtes Grundbedürfniss: ehrliche Kommunikation. Ernstgenommen zu werden, als was wir sind, mit dem, was wir zu sagen haben und was wir denken.

Und um uns: die Welt, die Natur – ein unverstellter Blick darauf. Ein ehrlicher Blick darauf. Die Dinge benennen, wie sie sind. Die Gewalt, das Unrecht, den Hass, die Missliebigkeit. Das Sagen und Denken nicht verstellen zugunsten eines falschen Selbstschutzes, eines falschen Schutzes von anderen. Das ist vielleicht das zentrale Thema: der falsche Schutz. (Denial, Leugnung, Gewalt.) Er enthebt uns unserer selbst, er enthebt uns einer geteilten Welt, der Welt überhaupt. Wir kranken an ihm.

Und in jedem Menschen wohnt das Gute. Ich glaube daran, ich habe es gesehen. Deswegen hoffen und lieben wir überhaupt. Weil wir es wissen. Wir sind angetrieben davon, den falschen Schutz bei uns selbst und den anderen beiseite zu schieben, ihn zu überwinden. Gemeinschaft herzustellen. Ehrlichkeit.

Und Schönheit auch. Denn in der Wahrheit werden wir bestehen. In der Wahrheit kommen wir ins Licht.

21. 6.

Ich bin Vater, Liebe, Verlangen, Gleichnis.

In diesen Momenten sind wir ganz gemein. Ich bin sie, und sie ist ich. Wir sind eins. Wir sind das Gleiche, wir haben die gleichen Probleme. Wir strahlen in der gleichen Liebe, und diese Liebe führt uns zu unserer Zweibestimmtheit. Wir sind dazu ersehen, den künftigen Weg gemeinsam zu beschreiten, gemeinsam zu sein. Als Gleiche, als Paar, als Familie, Verbündete, als Körpertauschende. Wir sind die Gleichen.

In unserer Verschiedenheit fanden wir eine Identität. Hier wird aufgezeigt das Neue. In deinem Verlangen zu mir, in dem, was du in mir siehst, wird mein zukünftiger Weg gewahr. Du zeigst mir, du sagst mir, du liebst mir, was ich bin. Du liebst mir auf zu zeigen, was ich in deinen Worten, im Regen deines Mundes sein werde. Du sagst es mir, du zeigst es mir. Dein Körper zeigt es mir, das Pochen und Verlangen deiner Adern.

Es vergeht. Es war, es zerbricht. Das ist der Punkt des Brechens: diese Nähe, diese Bestimmtheit, dieses Konkrete. Es bleibt, und es kommt – nur Zerstörung. Es gibt keine Ersatzidentität, keinen Plan B. Es bleibt nur eine Ablehnung, eine Zerstörung dieses Versuchs, dieser Idee, dieses Zögerns des Gewohnten. Und da läuft es aus. Da kommt es zum Stillstand, da ist es nicht mehr.

Ein Altes gewinnt. Ein Unbedeutendes, ein Unklares. Das fehlen eines Zeigens, das Fehlen eines Lebens.

Zugegen kommt die Liebe deiner. Eine alte Liebe, die neu wird. In unserem Verlust lebe ich in ihr weiter. Ich brenne in ihr als Leerstelle, als Vergehen, als das Nichtmelden. Ich höre, wie sie an mich denkt. Als Schleife, als Unklarheit, als Grundrauschen einer Möglichkeit. Als Bedingung des Gewesenen.

Ich bilde den Rand: die Begrenzung einer unscharf bleibenden Jetztheit. Es rauscht vor sich hin. Ich bin ein Name, eine Erinnerung, ein Orientierungspunkt. Ein Anker, der nicht angeschlossen ist. Ein Anker, der im Wasser flimmert. Und der sein tatsächliches Ergründen nie ausgestaltet hat.

23. 6.

Es ist niemand da. Doch alleine bin ich auch nicht.

25. 6.

Meine Kunst breiter zu zeigen, ist der intimste und liebevollste Akt, den ich vollziehen kann. Nichts verletzt mich mehr, nichts macht mich mehr verwundbar.

26. 6.

Was um uns herum besteht – das Gewirr aus Augen, der Nebel aus Lieben – wissen wir nicht. Es ist die große Unbekannte in unserem Leben. Und sie wird auch ausgedrückt durch: den Markt, das Publikum.

Ein komischer Kopf liegt dar herum. Anders als auf den Fotos. Sie liegt im Bett. Ich bin dieser Kopf. Ich bin dieser komische, anders aussehende Kopf. Ich bin dieser Kopf, der so noch nicht ins Bild trat. Geworfen von der Zeit, in die Zeit; unermächtigend, einfach da.

Ihr Körper ist wie ein Hampelmann. Ihre Glieder sind mit Fäden an den Torso ihrer Gedanken geknüpft. Um aufzustehen, zieht sie an einer Schnur, geht einen Schritt, fällt in sich zusammen, und zieht wieder an der Schnur.

Ich bin das. Ich bin sie. Ich bin dieser Mensch.

Ihr Kopf (mein Kopf) ist auch deswegen anders, weil sie ihn nie aus diesem Winkel sieht. Ich siehe sie schief an, unschief. Aus einem Winkel, den das Spiegelbild nie erhascht, in ihm nicht vorkommt, der nicht zähm- oder kontrollierbar ist.

Worüber spreche ich? Über ein Ausgeliefertsein in den Blicken anderer, über das eigene Unvermögen. Und dieses wird nicht durch die anderen, durch mich oder sie, in uns hinein gebracht. Es erscheint uns als Unwinkel der Multiplexität unserer Wirklicheit. Als ein unzukontrollierendes Gebiet.

Das, was man selbst am meisten versucht zu verdrängen, steht klar geschrieben auf der eigenen Stirn; für alle sichtbar.

Vielleicht müssen die ersten Tränen, die wie beim austretenden Kaffee die Dunkelsten sind, von mir selbst aufgefangen und verarztet werden.

27. 6.

Es ist das schönste Gefühl, einen kaputten Menschen zu lieben, in dem man sich sieht.

28. 6.

Also man könnte den Zeitstrahl des Lebens in ein Tier gießen, ihm die Form eines Tieres zugestehen. So wie man die eigene Stimmung mit einer Sonne oder einer Wolke beschreiben könnte. Und dann sieht man, wie kräftig dieses Tier ist.

Erstmals publiziert: Februar 2022.
2021, Juli