29. 4. 482

Vorher gab es die Theorie des Gemeinsamen, die Theorie des Pluralen, die Theorie des Hin-zu-den-Anderen. Das hat mir Kraft gegeben. Kraft, wie es vielen Menschen Kraft gibt, zu lieben.

Doch jetzt sind die Menschen weg. Meine Liebe ist weg. Sehr weg. Und wenn ich von dem »Selbst« spreche, meine ich ein ganz anderes Selbst als früher oder was ich mir vormals vorstellen zu vermochte.

Selbst ist hier etwas, das mir als Gebrochung erschien. Brokening im Englischen. Eine währende Gebrochenheit, etwas Schwelendes. Ein Schmerz. Und etwas, das nie heilt.

Es ist ein Leben vorstellbar ohne Gebrochung, doch in der Praxis existiert es nicht.

Wenn die geliebte Person stirbt. Das ist Brechung. Das bricht uns. Das fügt unserem Menschenleben einen Schaden zu, der durch nichts zu reparieren ist, der nicht vergeht und der nicht heilt. Das ist unsere Gebrochung.

Wenn die geliebte Person mich nicht liebt, nicht lieben kann. Sie stirbt. Oder etwas stirbt in mir. Das ist die Hauptgebrochung unser aller Menschen. Es steckt in uns. Die Gebrochung, eklatant nicht geliebt worden zu sein. Auch in einem gesellschaftlichen Sinn. Oder in einem naturhaften Sinn. Dass die Welt, so wie sie sich uns bereitet, nach unserem Tod, nach unserer Vernichtung trachtet, und es nichts gibt, außer unsere tröstende Anerkennung dessen, das uns davor beschützen könnte. Wir sind hilflos, wir sind gebrochen, der Tod wartet uns auf. Doch der Fakt, dass wir, durch die Anerkennung dessen, unser Überleben denken können, gibt uns als Tränen unser Lebensglück zurück.

Ich wollte so sehr nicht traurig sein, etwas aus meinem Leben machen, wie es in einem Wort von Arendt nachklingt. Doch wozu? Vielleicht geht das nicht. Ich kann es nicht.

Es wird kommen, wenn es kommen möchte. Ich kann nicht mehr. Ich muss mich in die Fluten werfen als kalter Körper. Was mich trägt, ist die Welt, oder Gott. Ich werde nicht untergehen.

Ich durchlaufe nicht eine Trennung von Esther, sondern zu mir kommt ein Schmerz, den ich so lange nicht sehen wollte, und den ich mit der Beziehung zu ihr verdeckte.

Mein Abstieg geschieht in Raten.
Der Körper spricht einfach vor sich hin.

Ein Modell war der Mensch als knüpfendes Wesen, sich knüpfend entlang und zwischen den anderen Wesen, den Wissensfetzen und allem Gewesenem überliefert zu ihm.

Doch was ist das schon? Es reicht nicht.

Es gibt einen Mensch, der ganz vollendet und uneinsichtig ist. Unnachgiebig. Der für sich bleibt.

Ein Text, eine Partitur quillt aus ihm. Und so steht dieser Mensch als Erscheinung.

Es ist ein Selbstsein, wo alles abfällt. Das sich nicht um die Bezüge schert. Denn alles, was ihm zählt, ist, wie die Wirklichkeit in ihn einströmt und da bleibt.