20. 4. 702

Wenn ich in Videos spreche, bin ich nicht echt. Mein soziales Selbst ist eine Lüge.

Ich finde, irgendwas in meinem Sprechen ist gesellschaftlich codiert. Mein Sprechen ist so gebunden an die Menschen, zu denen ich spreche, dass ich gar nicht anders sprechen kann als in einer gewissen Energetik und Fröhlichkeit.

Ich spüre durch klopfen und riechen, dass an diesem gesellschaftlichen Sprechen, an diesem Sprechen zu allen, zu meinen Freunden, etwas nicht stimmt. Dieses Sprechen will über etwas hinwegtäuschen, dieses Sprechen kann etwas nicht ertragen. Dieses Sprechen lässt keinen Platz und keinen Raum für einen Abgrund. Dieses Sprechen ist einem gesellschaftlichen Vorwärts, einer ostentativen Stärke verhaftet.

Doch wenn man Dinge nicht sehen will, läuft man in den Tod. Der Abgrund hört nicht auf Abgrund zu sein, wenn wir vorgeben, dass er nicht existierte.

Mein ganzes Leben ist durchzogen von einem schädlichen Überlebenswillen. Ich lernte ihn von der Gesellschaft. Das Denial ist in sie verwoben.

Dabei funktioniert das Leben genauso, und vielleicht sogar besser, wenn man aufhört, es zu meistern. Wenn man aufhört, stark zu sein, zu bestehen, etwas zu sein. Wenn man sich einfach hingibt den Wellen der Existenz. Wenn man sich treiben lässt vom Rausch der Zeit.

Ich muss sprechen von der Gebrochenheit und der Hoffnung, doch beide sind mir nicht hinzureichend klar.

Die Gebrochenheit ist immer zu suchen. Immer, wenn wir denken, nicht gebrochen und in Scherben zu liegen, wissen wir, es läuft was falsch. Selbst wenn wir im Glück schwimmen und neue Freunde schließen, müssen wir uns bewusst sein, welche Unmöglichkeit da gerade über uns bricht. Wie kurzweilig sie sein wird. Wir müssen sie deswegen mehr achten und genießen. Wir müssen zu ihr beten und sie schätzen.

Es geht nicht darum, das ganze Leben in ein Unheil zu stellen gemäß einer Schoppenhauerischen Pessimistik. Sondern das Leben von unten, vom Rockbottom aus zu begreifen. Vom Moment unserer größten Gebrochenheit. Wir müssen diesen Moment immer wieder suchen und erforschen, denn etwas in uns versucht ihn zu verwischen. Und dann werden wir blind und arrogant, und wir fragen uns mit größter Ahnungslosigkeit, was denn mit uns nicht stimme, was denn unser Problem sei.

Wir dürfen nie vergessen, wie kaputt wir sind, in welchem Verhältnis zur Natur wir stehen, und wie unselbstverständlich unser Hiersein eigentlich ist.

Das, was die Menschen unattraktiv macht, ist ihr Denial.

Es liegt nicht so sehr an meinem Alter, als dass meine wirtschaftliche und menschliche Armut schon zu lange währt. Ich bin völlig ausgehungert und ausgezerrt.

Ich stehe im Schwinden und unter mir raubt die Zeit.