Wir können erst dann offen auf uns schauen, wenn unser Suchtverhalten schmerzhafter geworden ist als die Realität, die es verdrängt.
Ich erwachse den Verletzungen, dem Scheitern, dem Unvermögen.
Sie haften mir an. Der Stamm, in den sie geschnitten sind, ist meine Integrität. Ich kann mich halten. Ich kann bestehen.
Es heißt, nicht zu blühen, aber es heißt, zu überleben. Und kein Baum blüht das ganze Jahr.
Die Menschen sind ein Volk mit Wundern gesegnet. Die Wunder gehören zum Wesen ihrer Existenz.
Denn alles, was uns umtreibt, sind die Menschen. Wir werden gekränkt und geschandet immerzu. Doch die Wunder kommen auch zu uns – jeden Tag.
Wer wurde gesehen von seinen Eltern? Ich kenne diese Menschen nicht.
Wir wurden nicht gesehen von unseren Eltern, in unserer Kindheit, im Erwachsenenleben. Wir sind ungesehene, unerkannte Wesen.
Wenn wir uns nun Sexualpartner aussuchen, Liebespartner, Lebenspartner, berühren wir diesen Bereich.
Unsere Sexualpartner können uns sehen. Wir erhoffen uns, von ihnen gesehen zu werden. Darum geht es in Liebe und Sexualität: um gesehen, erkannt, und exegiert zu werden.
Wenn wir nun lebenslang nicht gesehen wurden, suchen wir uns Partner, die uns nicht sehen können. Es gibt hier verschiedene Ausprägungen.
Es sind Menschen, die ihrerseits nicht gesehen wurden, und dieses Nichtsehen sich selbst und anderen gegenüber fortführen.
Ich nenne sie die selbstfernen Menschen.
Die Liebe schläft in diesen Menschen. Wir möchten, dass sie zu uns kommt.
Wir treten in selbstferne Anerkennungsschema, und versuchen sie zu befriedigen. Wir versuchen einem Menschen gefallen, gerecht zu werden, von ihm geliebt zu werden.
Doch wir wollen, das ist wichtig, nicht als wir selbst geliebt werden, sondern als selbstferne Versionen unserer selbst. Wir wollen anerkannt werden als etwas, das wir sein wollen, aber nicht sind.
Denn zurückgewiesen zu werden auf eine selbstferne Art verspricht uns, weniger verletzend zu sein, als zurückgewiesen zu werden für das, was wir wirklich sind.
Mir geht es darum, das Leben zu akzeptieren. Und in Kauf zu nehmen, dass sich seine »Fakti« niemals ändern. Dass man immer den Limitiertheiten der eigenen Startbedinungen verhaftet bleibt. Und dass man darin schön ist. Dass es nicht darum geht, etwas zu entwerfen, etwas zu sein, irgendwo hinzukommen. Sondern so wie man ist, als was man ist, leuchtet und reicht aus. Ist genug. Ist der Endpunkt. Das Equilibrium der Existenz.
Denn in diesem Scheitern leuchtete immer auch die Gegenseite. In diesem Weg des Scheiterns, in dieser katastrophalen Sequenz gab es schon Leben immerzu. Es gab immer ein Leuchten. Das, was dort leuchtete, die Momente des Leuchtens, waren nicht nur ein Überkommen, Entwerfen oder Überwinden. Das, was da leuchtete, war auch die Magie des Überlebens selbst. Des puren Am-Leben-seins, wie man es sich selten zu spüren erlaubt.

Selbstnähe bedeutet für mich Auseinandersetzung mit der eigenen Fatalität. Wir liegen mit jeder Faser im Scheitern. Alles an uns ist gebrochen und kaputt. Wir sind nichts. Kein Stück, kein Ganzes, kein Souverän. Das Beste, was wir können, ist die Scherben zu sammeln von dem, was war.
Und in dieser Sammeltätigkeit liegt Hoffnung, diese Sammeltätigkeit ist Hoffnung. Die Scherben einer zerbrochenen Vase, die nie war. Wir sehen unser Bild in der Assoziation der Bruchstücke unseres Scheiterns.
Hoffnung ist keine Stufe zu erschreiten, sie ist etwas in uns.
Solange unsere Existenz ertragbar ist, quellt schon unser Am-Leben-sein. Wir müssen nichts tun. Wir sind Maschinen der Hoffnung. Unersättlich strömt aus uns die Eigenheit. Jeder Gang, jedes Aufschlagen, alles Tun und Denken, ist ein Fanal unseres Widerstreits.
Dazu kommen die Unmöglichkeiten, für die wir nichts tun müssen, als durchzuhalten uns zu zeigen.
Die Menschen verlieben sich ständig in uns, wir können nichts dagegen tun. Wir werden auf der Straße angefallen von Liebesglückwünschen. Wir müssen nichts tun, und die Menschen lieben uns.
Das einzige Kriterium ist das Maß, in dem wir uns zeigen. Wir müssen den Menschen die Möglichkeit geben, uns zu lieben. Wir müssen uns lieben lassen.
Es gibt auch die Kritik, das Wegschauen und die Verneinung. Entfremdende menschliche Erfahrungen. Es geht darum, sie auszuhalten wie den Regen. Wir müssen eine Rinde haben und in den Wettern stehen. Das ist die Existenz. Wir stehen und überdauern die Zeit. In ihr sind wir das Schönste. Und die Menschen und Dinge verlieben sich in uns.
Die Blüte und die Befruchtung, die Lebensnahrung, die wir genießen, sie sind nicht der Normalzustand – sie sind das Unmögliche. Das Normale ist das Harren, das Warten, das Überdauern. Das Besinnen auf die eigene Agonie. Uns warm halten, uns pflegen, uns schützen. Das Leben ist kein Sturz roten Weins. Wir stehen im Wind und überdauern. Bis die Momente kommen, in denen wir blühen, in denen wir fliegen, in denen wir unsere Form verlassen, den Ort wechseln, und die Welt be-geistern.